Mit leichtem Gepäck

Warum einfaches Leben gar nicht so einfach ist

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Mit meinem neuen Handy, das mehr Computerleistung hat als eine frühere Mondrakete, ziehe ich in ein «tiny home», um entschleunigt auf 20 Quadratmetern zu leben. Paradox? Ja, so kann das heute aussehen. Aber was sagt eigentlich die Bibel zum einfachen Leben?

Wer sucht, der findet

Provokant könnte man sagen: Sie sagt das, was Sie hören möchten. Tatsächlich steht etliches dazu in der Bibel. Allerdings gehen die Aussagen nicht nur in eine Richtung. Vor allem das Alte Testament unterstreicht, dass Reichtum und Segen geradezu Ziel und Berufung aller Nachfolger Gottes sein sollten. Das Neue Testament favorisiert eher Armut und Einfachheit als Bestimmung jedes Einzelnen.

Offensichtlich werden «alt» und «neu» allein diesen Fragen nicht gerecht. Denn das Grundproblem aller Fragen, die sich um Besitz drehen, ist: Wir kommen nicht vor. Also ich jedenfalls nicht. Denn ich gehöre zu einer Gruppe, die es in der gesamten biblischen Zeit praktisch nicht gab: der Mittelschicht. Damals gab es wenige ganz Reiche und viele Arme und Tagelöhner, die Unterschicht. Und dazwischen war praktisch nichts. Ich und meine Lebenswirklichkeit kommen in der Bibel gar nicht direkt vor. Wenn ich über «einfaches Leben» nachdenke, dann ziehe ich mir die eine oder andere Aussage der Bibel heran; doch diese spricht zunächst einmal «wirklich» Reiche und «wirklich» Arme an – und nicht mich.

Und nun? Ich will Bibeltexte nicht missbrauchen, um meinen Status quo zu begründen, aber ich sehe, dass ein neues Lesen «zwischen den Zeilen» nötig ist, das den eigentlichen Sinn vieler biblischer Gedanken zum Thema erschliesst.

Das Kopfkissen von Jesus

Konkret: Wo spricht die Bibel von so etwas wie einem «einfachen Leben»? Ganz zu Beginn steht die Schöpfungsgeschichte. Und die vereinfacht schon vieles: Mitten hinein in einen übervollen Götterhimmel spricht sie plötzlich nur noch von einem Gott, der nicht nur Sonne, Meere, Berge, Fische, Bäume, Vögel und Menschen erschaffen hat, sondern auch allein für sie zuständig ist. Ist das einfach? Teilweise. Denn gleichzeitig widerspricht die überbordende Pracht der Schöpfung so mancher Idee von asketischer Hässlichkeit.

Ein typisches Beispiel ist Abraham. Gott rührt das Leben dieses Beduinen an und segnet ihn. Er wird nicht nur der «Vater vieler Völker» (1. Mose, Kapitel 17, Vers 4), sondern ist sehr reich (1. Mose, Kapitel 13, Vers 2). Ist er damit der Prototyp des Gottesnachfolgers?

Jesus scheint später etwas ganz anderes auszusagen: «Der Sohn des Menschen hat nichts, wo er sein Haupt hinlegen kann» (Matthäus, Kapitel 8, Vers 20). Das hört sich definitiv nicht nach Reichtum an.

Am Ende bewegen wir uns zwischen der Idee eines Wohlstandsevangeliums («Lebe mit Gott, dann segnet er dich auch materiell») und der einer Armutsbewegung (mit verschiedenen Vertretern von Franz von Assisi bis hin zu Shane Claiborne). Und wie gehe ich damit um? Ich fühle mich letzterer näher, lebe aber meist in den anderen Sphären. Und genau hier setzen Simplify & Co an, weckt Marie Kondo mein schlechtes Gewissen.

Und nun? Ich finde scheinbar keine einheitliche «biblische» Lehre. Gesetzlichkeit (Du sollst… ) ist damit keine Option. Aber es wird deutlich, dass sich das Leben nicht nur ums Haben oder auch ums Nicht-Haben dreht.

Die Tränen von Jeremia

Und was ist mit der geistlichen Sicht des einfachen Lebens? Es kann ja auch um andere Lasten gehen… Ist es nicht so, dass Gott Probleme löst und Lasten abnimmt? Ja. Beziehungsweise: jain. Denn das Problem bei dieser Sichtweise sind hingegebene Gottesmenschen wie der Prophet Jeremia. Mein AT-Dozent Doyle Klassen gab uns früher den Tipp: Notieren Sie einmal, wann davon die Rede ist, dass Jeremia weinte. Ich bin froh, dass ich jeweils nur eine Träne an den Rand meiner Bibel gemalt habe. Hätte ich einen Wassertropfen darauf gegeben, wäre die ganze Bibel durchgeweicht.

Dasselbe finden wir bei Paulus im Neuen Testament. Heute wird er oft als Glaubensheld gefeiert, doch so fühlte er sich offensichtlich nicht: «Was bin ich doch für ein elender Mensch!» (Römer, Kapitel 7, Vers 24).

Und nun? Wer meint, dass der Glaube auch die menschlichen und geistlichen Fragen des Lebens löst, hat sich vertan. Aber ohne Glauben sind diese offenen Fragen noch viel grösser.

Leichtes Gepäck

Zu meinen schönsten Urlaubserlebnissen zählt der Soonwaldsteig zwischen Kirn und Bingen. Diese Tour bin ich vor ein paar Jahren gelaufen – mit kleinem Gepäck, allein, fast ohne Begegnungen; geschlafen habe ich im Ein-Mann-Zelt irgendwo im Wald. Ich war von den ersten Metern an absolut entschleunigt und als ich am vierten Tag wieder «in die Zivilisation» zurückkam, fühlte sich das erst einmal seltsam an. Allerdings: Hätte ich ein Hotelbett gewollt, hätte ich es nach einer halben Stunde bekommen, und hätte ich einen Arzt gebraucht, wäre der auch erreichbar gewesen (jedenfalls da, wo mein Handy Netz hatte).

Warum ich das aufschreibe? Weil ich denke, dass meine Sehnsucht nach einfachem Leben gut und richtig ist. Dass sie aber auch dadurch funktioniert, dass die gewohnte Infrastruktur im Hintergrund ist. Dasselbe gilt für viele der heutigen Minimalismus-Bestrebungen: Ein halbleerer Kleiderschrank ist nur dann begehrenswert, wenn ich den reduzierten Inhalt bei Bedarf schnell austauschen kann. Denn wer will schon nur eine Hose haben – und sich keine andere kaufen können? Ein «Tiny Home» mit 20 Quadratmetern ist nur dann attraktiv, wenn es eine bewusste Beschränkung ist. Wenn ich sowieso in einer Hütte ohne Strom und Wasser lebe, ist es das eher nicht.

Die Sehnsucht zählt

Zentrum und Höhepunkt der biblischen Aussagen zu einem einfachen, bzw. reichen Leben ist die Bergpredigt. «Denn wo dein Reichtum ist, da ist auch dein Herz», stellt Jesus darin klar (Matthäus, Kapitel 6, Vers 21). Seine Aussagen schlagen eine Brücke zwischen AT und NT, zwischen materieller und geistlicher Bedeutung.

Was hat Jesus gesagt? Da ist dein Herz. Darum geht es! Die Sehnsucht zählt. Oder nennen wir es Ausrichtung. Oder Vision. Sie ist der Motor für jede Veränderung. Für eine Veränderungen in Richtung: «Ich möchte weniger besitzen» oder «Ich möchte meinen Besitz verantwortlicher einsetzen». Dasselbe gilt für den geistlichen Bereich: «Ich möchte erleben, wie Gott mich frei macht» oder «Ich möchte Gottes Freiheit in meinen Grenzen erfahren».

Einfach leben ist nicht so leicht.
Unbelastet leben ist ganz schön schwer.
Aber nur die Sehnsucht danach
ermöglicht ein Leben,
das diesen Namen verdient.

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Datum: 13.07.2020
Autor: Hauke Burgarth
Quelle: Livenet

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