Eine gemeinsame Vision

Führen inmitten der Vielfalt

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Daniel Zindel (Bild: idea Schweiz)
Führen ist angesichts kultureller Vielfalt anspruchsvoller geworden. Unser Autor ist Leiter eines vielfältigen diakonischen Werkes mit einem Ableger in Afrika. Er zeigt Chancen und Herausforderungen der Diversität im Zusammenleben auf und stellt die Frage, wie wir selbst damit umgehen.

«O.k., treffen wir uns morgen um neun Uhr», sagte mein afrikanischer Mitarbeiter. «Which time?», fragte ich zurück. «Swiss time», entgegnet er. Nun muss man wissen, dass unser Gespräch nichts mit Zeitverschiebung zu tun hatte, wir beide arbeiteten in der gleichen Stadt. Aber wir mussten uns vergewissern, welche Form von Pünktlichkeit wir für unser nächstes Treffen wählen. Wir Menschen sind so verschieden, und wenn wir zusammen arbeiten, prallen diese Unterschiedlichkeiten aufeinander.

Die Ressource der Vielfalt

Da arbeitet ein Sozialpädagoge, der im Gefängnis war und erfolgreich seine Suchttherapie abgeschlossen hat, zusammen mit einer Kollegin, die eine wohlbehütete Kindheit hinter sich hat. Mit zum Team gehören Fatima, die ihr Ausbildungspraktikum absolviert, sowie der erfahrene Gruppenleiter, der kurz vor seiner Pensionierung steht. Diese Unterschiedlichkeiten der Teammitglieder haben zur Folge, dass ganz verschiedene Haltungen, Denk- und Herangehensweisen in der gemeinsamen Zusammenarbeit und der Begleitung der Kinder, Jugendlichen und ihrer Eltern zum Tragen kommen.

Als diverses Team betrachten wir ein Problem aus den unterschiedlichsten Perspektiven. Das macht uns weniger betriebsblind. Wir heben Schätze aus den verschiedensten Lebenserfahrungen. Das erweitert unsere Kompetenzen. Diversität ist eine grosse Ressource, vor allem dann, wenn es darum geht, kreativ und innovativ zu sein, oder wenn wir uns, wie es in der Sozialpädagogik der Fall ist, auf relativ komplexem Terrain bewegen. Wenn wir in einem stabilen und berechenbaren Umfeld arbeiten, ist sie weniger gefordert.

Die Aufgabe der Diversität

Das Thema boomt. In der Fachliteratur wird Vielfalt in den Unternehmen als Schlüssel zum Erfolg gepriesen. Die Unterschiedlichkeit der Mitarbeitenden soll genutzt, die Ergänzung ihrer Potentiale soll erschlossen werden. Schliesslich wird auch global produziert und konsumiert.

Und doch steht auf der Prioritätenliste bei der Personalsuche das Thema Vielfalt («Diversität») auf dem zweitletzten Platz. «Gleich und gleich gesellt sich gern» – offenbar rekrutiert man eben doch gerne nach dem Prinzip der «Selbstähnlichkeit». Das schafft weniger Konflikte, die Kommunikation ist einfacher, die Basis gemeinsamer Werte ist breiter. Vielfalt ist eine Gabe, aber auch eine Aufgabe. Sie muss «gemanagt» werden. Sie hat ein Potential und ist Energie wie das Feuer. Und wie das Feuer muss sie gehütet werden. Ich schaue auf gut 20 Jahre interkulturelle Zusammenarbeit zurück und möchte ein paar Hinweise geben, wie Führung angesichts von Vielfalt gelingen kann.

Offene und wertschätzende Gesamtatmosphäre

Wenn jemand völlig anders ist, sind wir irritiert und fühlen uns durch die Andersartigkeit des Gegenübers möglicherweise in Frage gestellt. Es macht sogar Angst, wenn unser Gegenüber uns widerspricht und Reaktionen an den Tag legt, die wir nicht einordnen können. Wir müssen lernen, Widersprüchlichkeiten, kulturell bedingte Unterschiede oder Denk- und Verhaltensweisen, die schwer verständlich oder sogar inakzeptabel erscheinen, wahrzunehmen, ohne darauf aggressiv zu reagieren. Das Fremde und Exotische sollten wir auch nicht kritiklos positiv bewerten. In solchen Situationen hilft mir, gut in mir und meinem Gott gegründet zu sein und mich zugleich offen und neugierig auf das Unbekannte einzulassen. Das schafft ein Klima, in dem man sich überraschen lassen und lernen kann.

Leadership

Je diverser wir unterwegs sind, desto stärker muss die Leiterschaft sein. Das hat nicht primär etwas mit Machtausübung zu tun. Vielmehr muss von der Leitungsebene immer wieder darauf hingewiesen werden, was genau unsere gemeinsame Vision und Mission ist. Permanent predigen wir, welche gemeinsamen Werte wir vertreten, wie wir unsere Kultur als Team gestalten wollen. Am besten ohne Worte durch unser Vorbild. «Leute, was ist genau unser Auftrag?» Wenn wir uns in unserem interkulturellen Board zerstritten haben, hat uns diese Frage immer wieder auf das gemeinsame Ziel ausgerichtet.

Concordia

Weder die Krankenkasse noch die Sportclubs sind damit gemeint, sondern das alte deutsche Wort «Eintracht» oder wie es ein altes Lied auf den Punkt bringt: «Herz (cors) und Herz vereint (con) zusammen.» In unserem Denken, in unseren Wahrnehmungen, in unseren Handlungsweisen unterscheiden wir uns krass. Aber mit dem Kern unserer Person bringen wir uns ganz ins Team und unseren Auftrag ein. Das bildet unsere Einheit in unserer ansonsten sehr grossen Verschiedenheit. Wir gestalten dann immer mehr ein Konzept von Einheit, das nicht aus Uniformität besteht, sondern aus Unterschiedlichkeiten in Ergänzung. Meine Frau und ich, die unterschiedlicher nicht sein könnten, üben das seit bald 50 Jahren.

Standards

Einheit auf der Herzensebene genügt nicht. Wir brauchen zusätzlich Regeln, an die sich alle halten. Mit Standards meine ich verschriftlichte Policies, Prozesse und Reglemente, die für unser Handeln für alle verbindlich sind und deren Nichtbefolgung Konsequenzen hat. Für ein Regelwerk mit Augenmass zu sorgen, ist auch Leadership. Sie ist nicht charismatisch, aber sorgfältig, beharrlich und hat einen langen Atem. Zu den Regeln gehören auch Aussagen zur Partizipation, Integration und zum Schutz vor Diskriminierung.

Das richtige Mass an Diversität erkennen

Für die Lebensmittelkette Volg im Prättigau ist Diversität der Mitarbeitenden weniger wichtig als für den globalen Autokonzern VW. Wie viel Diversität brauchen wir als Unternehmen und wie gross soll die Heterogenität sein, so dass wir sie auch handhaben können? Ich habe heute als reifer Leiter eine viel grössere Integrationskraft als damals als Anfänger, wo ich viel mehr aus Abgrenzung heraus handeln musste.

Nicht Probleme lösen, sondern Lösungen erfinden

Je diverser wir unterwegs sind, desto wichtiger ist unser Dialog. Aber gerade unsere Unterschiedlichkeit in Sprache und Kultur erschwert ja diese Kommunikation und vermehrt unsere Konflikte. Diversitätsmanagement ist die Kunst, den Gesprächsfaden nie abreissen zu lassen, ihn immer wieder neu zu knüpfen. Es ist die Kunst, in Konflikten nicht Probleme zu lösen, sondern Lösungen zu erfinden. Es ist meine Erfahrung nach gut zwanzigjährigem, interkulturellem Leiten, dass eine gemeinsame Spiritualität dabei eine unverzichtbare Hilfestellung ist. Wenn gar nichts mehr ging, schaltete ich jeweils eine Stille ein: «Let’s pray!» Ich habe das gemeinsame Beten meistens so erlebt, dass Streit deeskalierte und uns unsere Egoismen und unser falscher Stolz bewusst wurden. Die gemeinsame Vision wurde dabei gestärkt.

Daniel Zindel ist Gesamtleiter und Theologischer Leiter der Stiftung Gott hilft. Er ist Autor mehrerer Bücher.

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Datum: 17.12.2020
Autor: Daniel Zindel
Quelle: Livenet

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